Die Todesangst Christi auf dem Gedenkstein einer Äbtissin in der Freckenhorster Stiftskirche
Zu den kaum bekannten Schätzen in der Freckenhorster Stiftskirche gehört ein Epitaph, d. h. ein Totengedenkstein, an der Nordwand der Choranlage für die Äbtissin Hedwig Christina Gertrudis von Korff zu Sutthausen. Das zentrale Bild auf dem drei Meter hohen Kunstwerk aus Kalkstein zeigt den in Todesangst betenden Christus am Ölberg vor den Toren Jerusalems. Dieses Motiv kann zu Beginn der vorösterlichen Passionswoche Anlass zu einer genaueren Betrachtung sein.
Die 1640 geborene und 1721 gestorbene Äbtissin Hedwig Christina gehörte zu den besonders starken und tatkräftigen Leiterinnen des Freckenhorster Stiftes. Neben ihrer bedeutenden Bautätigkeit in Freckenhorst ragt ihre Frömmigkeit heraus, die sich auch in zahlreichen Stiftungen von Messgerätschaften zeigt. Dazu gehört die besonders wertvolle,von ihr 1695 gestiftete silberne Altargarnitur aus sechs hohen Kerzenkandelabern und einem 125 cm messenden Kreuz in der Stiftskammer.
Schon zu ihren Lebzeiten ließ die Äbtissin das für sie bestimmte Epitaph anfertigen, das seinen Platz im Chor der Stiftskirche hat. Dessen zentrales Bild von der Todesangst Christi mag zunächst verwundern, aber es erklärt sich, wenn man bedenkt, dass die Äbtissin Hedwig Christina im Jahre 1694 in Freckenhorst eine „Todesangst Christi Bruderschaft“ gegründet hatte. Sie sollte die Erinnerung an das stellvertretende Leiden Christi für uns wach halten und ihre Mitglieder durch Gebetsverpflichtungen und die Feier eines besonderen Gottesdienstes am ersten Sonntag im Monat auf ein seliges Sterben vorbereiten.
Im Bild kniet der vollplastisch aus der Fläche herausgearbeitete Christus in dem durch einen Zaun angedeuteten Garten Gethsemane am Ölberg. Er blickt mit flehend ausgestreckten Händen auf einem schräg über ihm schwebenden Engel, der ihm den Leidenskelch entgegenhält, ein Hinweis auf die Bitte Christi nach Markus 14,32ff.: „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ In unterschiedlichen Stellungen schließen drei schlafende Männer, die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, die untere Bildzone ab. Sie begleiteten nach den biblischen Passionsberichten Christus, aber der Aufforderung, zu wachen und zu beten kamen sie aus menschlicher Schwäche nicht nach. Im Hintergrund links sieht man bereits die Soldaten mit dem Verräter Judas zur Gefangennahme Christi nahen.
Die mit großer künstlerischer Kraft vergegenwärtigte dramatische Schlüsselszene für die Ereignisse, die zum Tode Christi führen, wird ihrerseits in eine mehrfache Rahmung gesetzt. Den unteren Abschluß bilden ein Horizontalfries mit Palmettenmotiv und eine von Engeln gehaltene querovale Kartusche, auf der ein lateinischer Text mit Leben und Verdiensten der Äbtissin bekannt macht, mitteilt, dass das Bild an die Todesangst Christi erinnern soll und mit einem späteren Eintrag ihr Todesdatum, den 22. September 1721, nennt. Die Bildseiten werden innen von Pilastern begleitet, die mit je fünf Wappen besetzt sind, und außen von schwungvollem Rankenwerk und aus ihm herauswachsenden Engeln begleitet sind. Der Oberbalken ist mittig aufgewölbt und ebenfalls mit Wappenschilden besetzt. Schließlich kommt die Gesamtkomposition mit zwei Engeln zu seinem Abschluß, die das Korffsche Lilienwappen in ihren Händen tragen.
Zweifellos zeigt sich in den 16 Wappenschilden und in dem krönenden Familienwappen das Selbstbewusstsein der Äbtissin. Hedwig Christina Gertrudis von Korff zu Sutthausen war nämlich 1688 nach dem Tode der Äbtissin Claudia Seraphia von Wolkenstein nicht nur einstimmig von den Stiftsdamen zu deren Nachfolgerin gewählt worden, mit ihr erlangte auch zum ersten Male eine Angehörige des niederen westfälischen Adels das Äbtissinenamt. Die Wappenschilde auf dem Epitaph verweisen nicht ohne Stolz auf die vollständige und zweifelsfreie adelige Geschlechterreihe der Familie.
Klaus Gruhn